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Theologie trifft Informatik: Forschende nehmen älteste lateinische Handschriften der Bibel neu in den Blick

Nummer 138/2024 vom 07. November 2024
Neue Erkenntnisse zu alten Schriften verspricht ein Forschungsprojekt der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Freien Universität Berlin. Forschende aus Theologie und Informatik arbeiten darin an der Digitalisierung und Analyse der ältesten lateinischen Handschriften des Neues Testaments. Die Manuskripte werden anschließend in einem virtuellen Handschriftenraum zugänglich gemacht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben mit rund 815.000 Euro. Zudem ist geplant, die Ergebnisse in einer Wanderausstellung zu präsentieren.

Im Zentrum des Projekts stehen die Codices Vercellensis (VL3) und Sangallensis 1395 (Σ). "Beide sind bedeutende Sammlungen von Handschriften, die Übersetzungen des griechischen Neuen Testaments ins Lateinische überliefern", sagt die Theologin Prof. Dr. Annette Weissenrieder von der MLU. Sie leitet das Projekt gemeinsam mit Prof. Dr. Hubert Mara von der Freien Universität Berlin. Der Codex Vercellensis ist die älteste erhaltene Handschrift der altlateinischen Bibelübersetzungen aus der Mitte des 4. Jahrhundert. Der Codex Sangallensis stammt aus dem späten 5. Jahrhundert und zählt zu den wichtigsten Textgrundlagen der sogenannten Vulgata. Dabei handelt es sich um eine lateinische Übersetzung der gesamten Bibel, die sowohl das Alte als auch das Neue Testament umfasst.

Im Rahmen des Projekts kommen verschiedene Methoden aus Informatik und Theologie zum Einsatz: Dazu zählen die Analyse der verwendeten Tinten und des Pergaments mittels multispektraler Bildgebung, Röntgenfluoreszenzanalyse und optischer 3D-Messtechnik. "Diese Daten wollen wir miteinander kombinieren und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz auswerten. Das liefert uns die Grundlage für eine detaillierte Untersuchung der Codices und ihrer Schriftzeichen. So wollen wir mehr über deren Herkunft erfahren und auch darüber, wann sie erstellt wurden", erklärt Weissenrieder.

Hinzu kommen Methoden der Philologie, der Kunstgeschichte und der Theologie. Anhand einer genauen Beschreibung des Lateins soll der kulturelle und historische Kontext beschrieben werden, auch die sprachlichen Erscheinungen und ihre nachklassische Entwicklung werden in den Blick genommen: Vulgärlatein, Spätlatein, christliches Latein. "Die Vielsprachigkeit der spätantiken Textkulturen brachte es mit sich, dass Texte der neutestamentlichen Überlieferung schon früh übersetzt wurden. Die beiden Handschriften zeigen die Vielfalt der Übersetzungstechniken und reflektieren die unterschiedlichen Stadien des Lateins", sagt Weissenrieder. Ein weiterer wichtiger Aspekt seien die unterschiedlich gestalteten Paratexte in den Texträndern, so die Theologin weiter. Dazu gehören zum Beispiel eingetragene griechische und hebräische Begriffe, liturgische Nummerierungen einzelner Textpassagen, Bemerkungen zu Gliederungen, wie auch unterschiedliche so genannte Staurogramme, Symbole für Jesus Christus, die aus den griechischen Buchstaben Tau und Rho bestehen.

Ein besonderes Augenmerk des Projekts liegt auf der kritischen Edition des Codex Vercellensis und einer detaillierten philologisch-theologischen Analyse. Die Forschung wird durch den Vergleich mit anderen bedeutenden Handschriften erweitert. Die Ergebnisse liefern neue Erkenntnisse über die altlateinische Bibeltradition und werden digital im "New Testament Virtual Manuscript Room" der Universität Münster veröffentlicht. "Der Münsteraner Handschriftenraum ist die weltweit führende Anlaufstelle für die Forschung zu den Texten des Neuen Testaments. Alle dort veröffentlichten Objekte sind frei zugänglich", sagt Weissenrieder. Zum Ende des Projekts sollen die Befunde zudem in einer Wanderausstellung aufgearbeitet und erstmals im Museum of the Bible in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington ausgestellt werden.

Etabliert wird auch eine gemeinsame jährliche "Spring School" mit den Universitäten Oxford und Göttingen zum Thema. Diese soll den Studierenden, die sich mit den historischen Hilfswissenschaften der Paläographie (Lehre der alten Schriften) und Kodikologie (Handschriftenkunde) beschäftigen, die Methodik anhand der untersuchten Codices näherbringen.

 

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