Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Dr. Filipe Natalio mit einigen seiner Forschungsobjekte, darunter auch ein Glasschwamm (ganz links). (Foto: Maike Glöckner)
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Flexible Minerale: Neue Materialien aus der Meerestiefe

Nummer 048/2013 vom 14. März 2013
Vom Baumeister Natur lernen, „Erfolgsmodelle“ kopieren und sie für technische Entwicklungen nutzen – das ist der Grundgedanke der Biomimetik. Vor allem Meerestiere dienen Dr. Filipe Natalio als Inspiration für Innovationen. Der Leiter der neuen „Nachwuchsgruppe für Bioanorganische und Biomimetische Chemie“ der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) ist Hauptautor einer Studie, die jetzt in der aktuellen Ausgabe des renommierten „Science“-Magazins nachzulesen ist.

„Wir sind sehr froh, dass wir unsere Nachwuchsgruppen mit herausragenden jungen Wissenschaftlern besetzen konnten. Das Science-Paper von Filipe Natalio setzt einen Akzent!“, sagt Prof. Dr. Ingrid Mertig, Sprecherin des MLU- Forschungsnetzwerks „Nanostrukturierte Materialien“, zu dem auch die Nachwuchsgruppe von Dr. Filipe Natalio gehört. „Die Gruppe von Filipe Natalio nimmt einen besonderen Platz ein, indem sie mit ihrem Fachgebiet der Biomimetischen Materialsynthese eine Brücke zum Forschungsnetzwerk Biowissenschaften schlägt“, so Mertig.

Biominerale wie Muschelschalen oder Meeresschwämme dienen Biomimetik-Forschern als Vorbild, denn sie besitzen einzigartige wertvolle Eigenschaften. „Schwämme sind zum Beispiel sehr widerstandsfähig und trotzdem beweglich. Sie können Licht leiten und sind Leichtgewichte“, erläutert der Chemiker Natalio. Ihre perfekten Eigenschaften erhalten diese Meeresorganismen durch den Prozess der Biomineralisation. Dabei steuern die Organismen selbst, wie Minerale und organischen Bestandteile sich systematisch so anordnen, dass hochkomplexe Skelettstrukturen entstehen.

Filipe Natalio untersucht, wie es die Organismen schaffen, diese perfekten Strukturen systematisch herzustellen. „Wenn wir verstehen, wie Meerestiere wie Schwämme oder Kieselalgen wachsen, können wir diesen Prozess kopieren und damit neue Materialien entwickeln.“ Diese könnten zum Beispiel künftig in der Medizin als neuartige Knochenimplantate genutzt werden. Im aktuellen Science-Magazin beschreibt der Portugiese die Entwicklung eines neuen Materials, das außergewöhnlich robust und zugleich so biegsam wie Gummi ist. Die Arbeit entstand in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, wo Filipe Natalio als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt war, bevor er 2012 nach Halle kam.

Als Inspiration dienten den Forschern Glasschwämme, die seit mehr als 500 Millionen Jahren auf dem Meeresgrund leben. Diese Schwämme bestehen aus nadelförmigen Skelettelementen (Spicula), die durch Biomineralisation allmählich aus Kalzit und organischem Kleber (Proteinen) aufgebaut werden. „Diesen natürlichen Entstehungsprozess haben wir nachgeahmt, indem wir im Labor Silikateine zu Kalzit-Nanopartikeln hinzugefügt haben“, erläutert Natalio. Mit Hilfe des Proteins Silikatein bilden einige Schwammarten ihr Skelett.

Die künstlich hergestellten „Nadeln“ ähneln äußerlich ihren natürlichen Vorbildern. Zur Überraschung der Forscher erwiesen sie sich aber als dreimal so robust. Selbst wenn sie im 180-Grad-Winkel zu einem U gebogen werden, überstehen die Nadeln diese extreme Belastung nahezu unbeschadet. Dahinter steckt ein bislang unbekannter Aufbaumechanismus des Biominerals: Die Silikateine wirken wir ein Schmiermittel, das die Kalzit-Nanopartikel miteinander verbindet und zugleich die Elastizität der Struktur erhält (siehe Abbildung). Dem Team um Filipe Natalio ist es gelungen, den natürlichen Bauplan dieses Biominerals zu entschlüsseln und das erste biomimetische Biomineral mit ähnlichen bzw. sogar verbesserten Eigenschaften zu entwickeln.

Das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk „Nanostrukturierte Materialien“ ist der Präparation, der Charakterisierung und der Untersuchung der physikalischen und chemischen Eigenschaften von nanostrukturierten Materialien gewidmet. Die dort angesiedelten Nachwuchsgruppen sind ein wichtiges Element der Förderung junger talentierter Wissenschaftler im Forschungsnetzwerk und am Standort Halle. 2012 wurden zwei neue Nachwuchsgruppen eingerichtet, zwei weitere folgen in diesem Jahr.

Über den Autor:
Dr. Filipe Natalio arbeitet seit Dezember 2012 als Leiter der Nachwuchsgruppe für Bioorganische und Biomimetische Chemie am Institut für Anorganische Chemie der MLU. Er wurde 2010 in Mainz mit einer Arbeit über die Herstellung von bioinspirierten Biomaterialien als Knochenersatz mit „summa cum laude“ promoviert. Bereits 2012 wurde seine Studie zu Nanopartikeln, die gegen Algen- und Bakterienbefall im Meerwasser resistent sind, in „Nature Nanotechnology“ publiziert.




Angaben zur Publikation:


„Flexible Minerals: Self-Assembled Calcite Spicules with Extreme Bending Strength“

Autoren: Filipe Natalio, Tomas P. Corrales, Martin Panthöfer, Dieter Schollmeyer, Ingo Lieberwirth, Werner E.G. Müller, Michael Kappl, Hans-Jürgen Butt und Wolfgang Tremel
Erschienen in: Science [15.03.2013]
DOI: 10.1126/science.1216260
online: www.sciencemag.org/content/339/6125/1298

Video zur Science-Publication: www.youtube.com/watch?v=XNleh50Ug_k

Dr. Filipe Natalio mit einigen seiner Forschungsobjekte, darunter auch ein Glasschwamm (ganz links). (Foto: Maike Glöckner)
Dr. Filipe Natalio mit einigen seiner Forschungsobjekte, darunter auch ein Glasschwamm (ganz links). (Foto: Maike Glöckner)
Ein Gießkannenschwamm aus der Klasse der Glasschwämme. Dank seiner raffinierten Struktur ist das gläserne Skelett fast unzerbrechlich. (Foto: Maike Glöckner)
Ein Gießkannenschwamm aus der Klasse der Glasschwämme. Dank seiner raffinierten Struktur ist das gläserne Skelett fast unzerbrechlich. (Foto: Maike Glöckner)
Modelldarstellung: Wie eine Mauer sind die Kalzit-Nanopartikel angeordnet. Weil Silikatein zwischen ihnen wie Kleber und Schmiermittel zugleich wirkt, überstehen die Partikel selbst ein starkes Biegen des Spiculums fast unbeschadet. (Quelle: F. Natalio)
Modelldarstellung: Wie eine Mauer sind die Kalzit-Nanopartikel angeordnet. Weil Silikatein zwischen ihnen wie Kleber und Schmiermittel zugleich wirkt, überstehen die Partikel selbst ein starkes Biegen des Spiculums fast unbeschadet. (Quelle: F. Natalio)
 

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